Apg 1,12-14; Lk 1,26-38
Liebe Schwestern und Brüder,
der Gedenktag unserer lieben Frau vom Rosenkranz erinnert mit seiner Geschichte daran, dass die Christen in Zeiten von Seuchen, Pest, Epidemien, Krieg und Heimsuchungen immer in ganz besonderer Weise Zuflucht im Gebet gesucht haben. „Not lehrt beten“, ist ein verbreitetes Wort, das manchmal negativ verwendet wird. Aber wir alle wissen, dass wir in Krisenzeiten inständiger beten. Sei es in einer Krankheit, sei es beim Verlust eines lieben Menschen. Das Leid und die Not sind immer auch eine Schule des Gebetes. So ist der Rosenkranz in einer schlimmen Zeit entstanden, als die Völker in großer Angst um den Untergang ihrer Länder und Kultur fürchteten. Sie haben Zuflucht bei Maria gesucht, wie es wir in unseren Bruderschaften tun. Das Bild der Apostel, die sich bei Maria in Jerusalem versammeln, zeigt, dass Maria eine Einheit schafft. Vielleicht haben die Apostel in der Person von Maria ganz besonders die Nähe Jesu gespürt. Maria hilft uns, die Nähe Jesu zu spüren. Immer bleibt ihr Wort gültig, mit dem sie auf Jesus verwiesen hat: „Was er euch sagt, das tut“ (Joh 2,5). Auch das Bild von der Schlaflegung Marias, das in der orthodoxen Tradition besonders verehrt wird – und heute denken wir mit der Ukraine an ein orthodoxes Land in einer furchtbaren Situation, da sie in ihrer Existenz bedroht ist und von einer Aggression ausgelöscht werden soll – auch dieses Bild zeigt die Apostel vereint um Maria, wie wir es hier in der Kirche auch sehen.
Das Mariengebet ist eine Brücke zu Jesus. In den Mariendarstellungen ist Jesus immer dabei, sei es als neugeborenes Kind oder als vom Kreuz herabgenommener Sohn, den sie in ihrem Schoß voll unvorstellbarer mütterlicher Trauer aufnimmt. In dieser Hinsicht lehrt uns das heutige Fest das inständige Gebet, denn die Existenz ganzer Völker, ja heute durch die schrecklichen modernen Waffen der ganzen Welt ist bedroht – die atomare Gefahr ist zurückgekehrt, von der wir nach der Wende dachten, dass sie vorüber ist. Wir müssen uns das vergegenwärtigen und inständiger werden. Das Rosenkranzgebet ist ein langes, meditatives und inständiges Gebet. Das hat den Menschen aller Zeiten und in allen Lagen große Kraft gegeben. Der heutige Gedenktag erinnert uns daran, dass wir mehr auf die Kraft des Gebetes vertrauen müssen. Vielleicht sind wir etwas nachlässig geworden. Doch es ist nicht egal, wie wir beten. In der Heiligen Schrift sehen wir oft, dass das inständige Gebet Gehör findet. Es sind die Hilferufe der Kranken, das Weinen der Mutter um ihren einzigen Sohn. Das Schreien des Volkes in der Sklaverei Ägyptens. Die Schrift betont, Gott hört das Gebet. Er hat Jesus durch Maria gesandt, um das Schreien der Menschen zu erhören. Dieser Glaube muss wachsen, damit auch unser Gebet wächst.
Auch diese schwierigen Zeiten brauchen unser Gebet. Das ist unsere erste Berufung als Christen und dass können wir alle tun, unabhängig vom Alter oder von unseren körperlichen Kräften. Die Begegnung von Maria mit dem Engel, dem Boten Gottes, der ihr Leben grundlegend verwandelte geschah in einem Moment des Gebetes, der Sammlung. Die Darstellungen zeigen Maria oft bei der Betrachtung des Wortes Gottes. Das Leben ist manchmal voller Zerstreuungen, das moderne Leben hat uns viele Versuchungen gegeben. Das Gebet ist auch Disziplin und Konzentration, das lehrt uns der Rosenkranz. Das Gebet ist auch Lesen des Wortes Gottes, denn das Wort Gottes ist ein Wort von Gott, nicht von uns Menschen, es legt uns sozusagen schon die Worte zum Beten in den Mund, wenn wir nicht wissen, wie wir beten sollen. Denn Beten ist an erster Stelle Hören, Hören auf Gottes Wort. Durch sein Wort spricht er zu unserem Herzen. Dann kommt unsere Antwort. So ist es auch in jedem Gottesdienst, zuerst hören wir die Lesungen und Erläuterungen des Wortes Gottes, dann kommt in den Fürbitten unsere Antwort. Diese Bitten greifen heute die Not dieser Zeit auf, die Kriege, angefangen in der Ukraine, aber die vielen wie im Norden von Mosambik, über den niemand spricht, oder in Syrien der vergessen ist, 11 Jahre schreckliches Leid, aber die Welt hat sich daran gewöhnt. Das Gebet greift das Drama des Klimawandels auf, der Pakistan zu fast einem Drittel durch die schrecklichen Überschwemmungen heimgesucht hat. Und viele persönliche Geschichten von Krankheit und Leid. Das Gebet ist wirklich ein Ausdruck der Liebe und der Menschlichkeit, denn wir wollen uns nicht an das Leid gewöhnen. Das Gebet ist auch ein Protest, denn wir suchen Heilung, Frieden, Trost, wir wollen nicht vor dem Krieg und dem Leid resignieren. Maria begleitet uns, stützt uns, stärkt uns und bittet für uns. Bitte für uns, Mutter Gottes, jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen.
Dr. Matthias Leineweber im Oktober 2022