Lk 1,39-56
Liebe Schwestern und Brüder,
das Hochfest der Aufnahme Mariens in den Himmel wird in einer langen Tradition seit den ersten Jahrhunderten begangen, obwohl das Dogma erst 1950 durch Papst Pius XII. verkündet wurde. Als Vorbild für die Jünger aller Zeiten zeigt uns Maria die Bestimmung unseres Lebens: das Ziel all unserer Bestrebungen und Wünsche ist die vollendete Gemeinschaft in der himmlischen Herrlichkeit. Und zwar als leibhafte Gemeinschaft, die unsere irdische Existenz sozusagen mit in diese himmlische Herrlichkeit hineinnimmt. Maria ist als erste Bürgerin des Himmels eine Vorbotin für die Jünger aller Zeiten, auch wenn die himmlische Wirklichkeit für uns immer ein Geheimnis und eine Hoffnung bleibt. Dabei ist Maria uns nicht fern, denn gerade in ihrer Niedrigkeit als einfaches Mädchen aus Nazaret ist sie wie jeder und jede von uns, die wir alle einfache und durchschnittliche Menschen sind. Die Erhöhung der Mutter Gottes darf sie uns nicht entfremden. Hoheit und Niedrigkeit sind nämlich miteinander verbunden und kein Widerspruch. Gerade in der Niedrigkeit und Demut Marias, zeigt sich ihre Größe und Erhabenheit. Denn wer niedrig und klein sein kann, wer fähig ist zum Dienen, der ist groß bei Gott, der geht den Weg in die himmlische Herrlichkeit, den Maria uns am heutigen Hochfest weist.
Das Evangelium führt uns in ein abgelegenes Dorf in der Peripherie von Galiläa stammt. Sprichwörtlich wird gesagt: „Kann aus Nazaret etwas Gutes kommen?“ (Joh 1,48). Ja, aus Nazaret kann etwas Gutes kommen, denn auch in abgelegenen und von Menschen verachteten Orten kann Gott sein Heil wirken. Es ist geradezu ein Prinzip Gottes, dass er das Niedrige erwählt, wie der Apostel Paulus sagt: „Das Schwache in der Welt hat Gott erwählt, um das Starke zuschanden zu machen“ (1 Kor 1,27). Maria ist schwach und deshalb bereit zum Zuhören. Alle Kraft im Leben von Maria kommt vom Hören: Als sie dem Engel zuhört, empfängt sie den Heiligen Geist: Die Kraft des Höchsten überschattet sie und neues Leben wird in ihr geschaffen. Wir sind auf der Suche nach der Zukunft der Kirche. Die erste Haltung dabei ist die von Maria: hören wir auf Gottes Wort und glauben wir den Worten, dass Gottes Heilshandeln sich auch heute erfüllen kann und auch in unserem kleinen und schwachen Leben Großes vollbringt. Elisabeth spricht die erste Seligpreisung im Evangelium gerade über ein solches Zuhören aus: „Selig, die geglaubt hat, dass sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ.“
Die Mutter Gottes zeigt einen zweiten Schritt, der eng mit dem Hören verbunden ist. Sie hat nichts für sich gefordert. Sie hat sich nicht groß gefühlt, sondern wusste, dass ihr Leben Begleitung und Hilfe braucht. Sie ist so anders als die Arroganten und Eingebildeten, die es auch in unserer Zeit gibt. Wie oft fühlen wir uns besser als andere, besonderen wenn sie schwächer oder ärmer sind. Maria singt im Magnifikat: „Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind… und erhöht die Niedrigen.“ Die hohe Erwählung führt Maria zur Niedrigkeit des Dienstes. Sofort eilt sie zu ihrer Verwandten, um ihr in der schweren Zeit der Schwangerschaft als ältere Frau beizustehen. Das Wort Gottes – wenn es mit ehrlichem Herzen gehört wird – fühlt nicht dazu, sich gut zu fühlen. Der Weg zum Himmel führt über das Bedürfnis unserer Schwestern und Brüder. Denn niemand rettet sich allein, Gott wollte die Menschen als Volk retten, wie das Konzil lehrt. Der Weg zum Himmel führt durch das enge Tor des Dienstes. Da muss man sich klein machen und bücken, nicht hochmütig prahlen oder das Ich aufrichten. Die jugendliche Maria und die alte Elisabeth weisen uns den Weg der Freundschaft zwischen Jung und Alt, nur so wird unsere Welt eine Zukunft haben. Und es ist bezeichnend, dass Lukas in seinem Evangelium zwei Frauen an den Anfang stellt. Wir müssen lernen, auf die Größe der Niedrigkeit der Frauen zu schauen, auf ihren Dienst, der zu häufig geringgeschätzt wird.
Und noch einen dritten Aspekt zeigt uns die Mutter Gottes. Die Apokalypse beschreibt eine Frau „mit der Sonne bekleidet; der Mond war unter... ihren Füßen und ein Kranz von zwölf Sternen auf ihrem Haupt“. Es ist ein Bild für eine neue Schöpfung, Maria als Mutter des neuen Lebens umgeben von der Harmonie einer geheilten und nicht ausgebeuteten Schöpfung. Der Himmel beginnt nicht erst im Jenseits, wir sind aufgerufen, unsere Erde zu erhalten und zu bewahren, sozusagen schon hier den Himmel zu bereiten, indem wir die gesamte Schöpfung achten. In dieser Zeit der Dürre in vielen Teilen der Welt verstehen wir, dass wir die Schöpfung zu sehr ausgeplündert haben. Die Mutter Gottes lädt uns ein, uns für die Harmonie und die Achtung der Schöpfung einzutreten, die Gott uns in der Schöpfung anvertraut hat. Maria, die glorreich in den Himmel aufgenommen wurde, begleitet uns immer durch ihr Gebet, damit wir vor dem Bösen des Drachen bewahrt werden. Maria singt das Loblied des Magnifikat auf den Herrn, der die Kleinen und Niedrigen erhöht und zu seiner Seite erhebt, wie er es mit Maria getan hat. Maria, Mutter Gottes, wir bitten dich, bitte für uns Sünder, begleite uns in dieser schwierigen Zeit, jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen.
Dr. Matthias Leineweber im August 2022